Die progressive Muskelentspannung nach Jacobson
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Progressive Muskelentspannung – Entspannung für jedermann
In manchen Situationen weiss man weder ein noch aus. Das Herz rast, der Blutdruck steigt, Schweiss bricht aus, Angst, Kummer, Hoffnungslosigkeit oder auch Schmerzen nehmen von einem Besitz. Ganz gleich, was die Ursache dieser Stresszustände oder Schmerzen ist, es gibt Soforthilfe, die jeder umgehend bei sich zu Hause umsetzen kann: Die progressive Muskelentspannung nach Jacobson, eine der bekanntesten und wirksamsten Entspannungsmethoden überhaupt. Sie ist kostenlos, leicht erlernbar und erfordert nur wenig Zeit.
Der US-amerikanische Arzt Edmund Jacobson (1888 – 1983) erforschte an der renommierten Harvard University den Zusammenhang zwischen Muskelspannung, psychischer Befindlichkeit und psychosomatischen Erkrankungen. Dabei entdeckte er gleich einen doppelten Zusammenhang zwischen psychischen und physischen Symptomen:
Stress führt zu Muskelanspannung – Muskelentspannung löst Stress auf
Jacobson fand zunächst heraus, dass innere Spannungszustände (Stress, Angst) zu einer Anspannung der willkürlichen Muskulatur des Bewegungsapparates und sogar der unwillkürlichen Muskulatur der inneren Organe führt. Das ist noch nicht so sehr erstaunlich. Denn fast jeder kennt das:
Bei Stress, Ärger oder Kummer verspannt man sich automatisch. Der Magen ist verkrampft, man ballt vielleicht sogar die Hand zur Faust, die Schultern ziehen sich nach oben, man beisst die Zähne aufeinander usw.
Bei chronischem Stress bleiben diese An- und Verspannungen bis zu einem gewissen Grad dauerhaft bestehen. Irgendwann sind die Muskelanspannungen chronisch und man merkt gar nicht mehr, wie verspannt man ist. Ja, man hat vergessen, wie es sich anfühlt, vollkommen entspannt zu sein.
Jacobson stellte nun jedoch fest, dass psychische Anspannungen durch eine gezielte Muskelentspannung auch wieder abgebaut werden können. Chronische Angst- oder Stresszustände können gemildert werden, sobald man lernt, die chronische Muskelanspannung wieder zu reduzieren. Denn eine Reduzierung der Muskelanspannung beruhigt das Zentrale Nervensystem.
Gleichzeitig wird durch die progressive Muskelentspannung der Parasympathikus aktiviert und damit jener Teil des Nervensystems, der uns beruhigt und entspannen lässt. Erst jetzt erfährt man wieder, was es heisst, wirklich entspannt zu sein. Erst jetzt lernt man das Gefühl echter Entspannung wieder neu kennen.
Anhand all dieser Erkenntnisse und Erfahrungen entwickelte Jacobson nach 20jähriger Forschungsarbeit die progressive Muskelentspannung, manchmal auch Tiefenmuskelentspannung oder progressive Muskelrelaxation genannt. Im Jahr 1929 veröffentlichte Jacobson seine Forschungsergebnisse zunächst in wissenschaftlicher Form; für den Laien gab er etwas später – im Jahr 1934 – sein Buch You Must Relax heraus, welches in 13 Sprachen übersetzt wurde.
Progressive Muskelentspannung – Anspannung und Entspannung
Während sich nun viele Entspannungsmethoden nur mit Hilfe eines Therapeuten umsetzen oder erlernen lassen, kann man die progressive Muskelentspannung auch ganz allein erlernen und durchführen. Die progressive Muskelentspannung kann ausserdem auch von Menschen leicht umgesetzt werden, die schwer mit Autosuggestionen (z. B. beim Autogenen Training) arbeiten können. Sie müssen sich also nichts vorstellen, nichts visualisieren, sondern konzentrieren sich rein auf körperliche Abläufe.
Bei der progressiven Muskelentspannung spannen Sie nacheinander verschiedene Muskelgruppen an, halten die Spannung und lassen die Spannung dann wieder los.
Je mehr Sie dabei die Muskeln anspannen, umso mehr und umso besser können Sie anschliessend entspannen. In der Entspannungsphase fühlen Sie ganz bewusst, wie sich Entspannung anfühlen soll. Denn erst wenn Sie sich wieder erinnert haben, wie sich Spannung und wie sich Entspannung im Körper anfühlen, wenn Sie den Unterschied wieder erkannt haben, können Sie später – in stressigen Situationen – auch ganz bewusst entspannen, so dass Ihnen der Stress und Ärger gar nicht mehr so nahe gehen. Sie können Angstzustände im Ansatz ertappen und mildern oder gar ganz aufheben.
Die Methode der progressiven Muskelentspannung zeigt Ihrem Körper also, WIE er entspannen kann. Denn wie oft hören wir von anderen den gut gemeinten Tipp: „Hey, entspann dich!“ Leider ist es nicht immer so einfach, wie sich andere das vorstellen. Die progressive Muskelentspannung jedoch ist ein sehr wirkungsvolles Werkzeug, mit dem sich Entspannung tatsächlich so erlernen lässt, das man sie auf Wunsch abrufen kann.
Da Jacobson die progressive Muskelentspannung schon vor so langer Zeit entwickelt hat, liegen längst auch überzeugende Studienergebnisse zur Wirkung der Methode vor:
Progressive Muskelentspannung bei Stress und Angstzuständen
Die progressive Muskelentspannung hilft bei nahezu allen Beschwerden – ob psychischer oder physischer Natur. Denn egal wo Schmerzen oder anderweitige Ungleichgewichte auftauchen, kommt es zu Muskelanspannungen. Die wahrscheinlich erfolgreichste Wirkung hat die progressive Muskelentspannung jedoch auf Stress- und Angstzustände.
Schon Anfang der 1980er Jahre beschrieben Forscher im International Journal of Aging & Human Development eine Studie mit älteren Frauen, die erst vor wenigen Jahren ihren Ehemann verloren hatten und aufgrund des Verlustes nicht nur an Angstzuständen, sondern auch an Schlafstörungen und chronischen Kopfschmerzen litten. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die keine progressive Muskelentspannung durchführte, ging es der Progressive-Muskelentspannungsgruppe nach wenigen Wochen sehr viel besser. Ihre Ängste gingen zurück, die Schlafqualität besserte sich und die Kopfschmerzen nahmen ab. In dieser Gruppe wurde den Frauen 10 Wochen lang Jacobsons Entspannungsmethode beigebracht. Anschliessend führten sie die progressive Muskelentspannung eigenständig zu Hause durch.
Eltern von schwer erkrankten Kindern sind erwartungsgemäss einem hohen Stresslevel ausgesetzt und leiden an grosser Angst um ihre Kinder. Selbst hier kann die progressive Muskelentspannung – so eine Studie vom Februar 2017 – die Gemütslage betroffener Eltern deutlich verbessern.
Auch Lernstress im Studium, Prüfungsängste oder Stress in besonders belastenden und verantwortungsvollen Berufen wie der Krankenpflege lassen sich mit Hilfe der progressiven Muskelentspannung merklich lindern.
Ja, die progressive Muskelentspannung wirkt bei Stress im Gehirn offenbar ähnlich beruhigend wie das bekannte Psychopharmakon Diazepam, ein Schlaf- und Beruhigungsmittel. Während Diazepam jedoch starke Nebenwirkungen mit sich bringt und überdies zu einer gefährlichen Medikamentenabhängigkeit führen kann, sind die Nebenwirkungen der progressiven Muskelentspannung ausschliesslich positiv.
Man ermöglichte 84 Patienten, die aufgrund eines nahenden medizinischen Eingriffs aufgeregt waren, entweder eine Sitzung mit progressiver Muskelentspannung (PM), gab ihnen eine Tablette Diazepam oder liess sie ohne jegliche Behandlung den Eingriff überstehen. Es zeigte sich, dass die progressive Muskelentspannung im Gehirn zu vergleichbaren angstlösenden Effekten führte wie das Psychopharmakon. In der Kontrollgruppe hingegen konnten keine Veränderungen der Gehirnaktivitäten beobachtet werden. Die Angst blieb bestehen.
Im Jahr 2002 nahmen von insgesamt 46 gestressten Teilnehmern 31 an einer kurzen Sitzung mit progressiver Muskelentspannung im Labor teil. Die übrigen 15 Teilnehmer sassen zu einer anderen Zeit für den gleichen Zeitraum nur ruhig im Labor. Bei den Teilnehmern, die PM praktizieren durften, nahm der Stresspegel messbar ab. Die Herzfrequenz sank und die Spiegel der Stresshormone ebenfalls. Auch wurden Angstzustände weniger stark wahrgenommen.
Selbst bei Schizophrenie, die oft mit Angstzuständen einhergeht, konnte die progressive Muskelentspannung in Studien zu sehr guten Erfolgen führen. Eine randomisierte, kontrollierte Studie vom August 2009 aus Taiwan mit 18 Schizophreniepatienten konnte eine deutliche Verbesserung der Angstzustände in jener Gruppe feststellen, die mit progressiver Muskelentspannung behandelt wurde. Weitere Studien und Reviews bestätigen, dass die PM bei Schizophrenie unbedingt als zusätzliche Komponente in die Therapie integriert werden sollte.
Progressive Muskelentspannung bei Erschöpfung
Ältere Menschen leiden häufig an teilweise unerklärlicher Erschöpfung, die Leistungsfähigkeit lässt nach, man bewegt sich immer weniger und oft kommen chronische Schmerzen hinzu. Die progressive Muskelentspannung kann hier ein einfaches Mittel sein, das Befinden massgeblich zu bessern:
In einer randomisierten klinischen Studie aus dem Jahr 2016 erhielt eine Gruppe älterer Probanden drei Tage pro Woche eine Behandlung mit progressiver Muskelentspannung über drei Monate hinweg. Die Teilnehmer berichteten nach der Studie über eine sichtliche Verbesserung ihrer Erschöpfungszustände. Ausserdem erlebte die Gruppe eine allgemein bessere körperliche Leistungsfähigkeit, ein verbessertes Sozialverhalten und eine Linderung bestehender Schmerzen – was bei der Kontrollgruppe, die keine progressive Muskelentspannung praktizierte, nicht der Fall war.
Progressive Muskelentspannung bei chronischen Rückenschmerzen
Bei chronischen Rückenschmerzen empfiehlt das ACP (American College of Physicians = US-amerikanische internistische Fachgesellschaft) ausdrücklich neben Bewegung auch Entspannungsübungen und führt hier unter anderem die progressive Muskelentspannung auf. Die ACP hatte eine Übersichtsarbeit angefertigt und dafür sämtliche randomisierte, kontrollierte Studien und systematische Reviews bis zum Jahr 2015 analysiert, bei denen es allesamt um nichtinvasive und nichtmedikamentöse Therapien gegen Schmerzen im unteren Rücken ging. Die Ergebnisse waren so überzeugend, dass die progressive Muskelentspannung unbedingt bei entsprechenden chronischen Schmerzzuständen zur Anwendung kommen sollte.
Auch bei Schmerzen, die häufig nach Operationen auftreten, kann man sich mit progressiver Muskelentspannung sehr gut helfen. In einer Studie bei postoperativen Schmerzen des Unterleibs zeigte sich beispielsweise, dass das Schmerzniveau dank der Entspannungstechnik deutlich sank.
Progressive Muskelentspannung bei Multipler Sklerose
Die progressive Muskelentspannung kann sogar die Symptome bzw. das allgemeine Befinden bei Patienten mit Multipler Sklerose verbessern. Bei einer Studie aus dem Jahr 2009 nahmen 50 ProbandInnen teil. Sie führten sechs Wochen lang das progressive Muskelentspannungstraining durch. Dann wurden erneut – wie schon vor der Trainingsphase – die Cortisolspiegel, Blutdruck, Angstlevel und Herzparameter überprüft. Fast alle Werte besserten sich signifikant, ja selbst nach einer vierwöchigen Pause, in der keine PM praktiziert wurde, gingen die Werte nicht wieder bis auf ihr schlechtes Ausgangsniveau zurück.
In einer Studie vom Oktober 2012 mit 32 an Multipler Sklerose erkrankten Patienten wurde die Wirkung von progressiver Muskelentspannung auf deren Erschöpfungszustände und Schlafqualität, beides sehr häufig vorkommende Probleme bei Multipler Sklerose, geprüft. Hierzu nahmen die Teilnehmer über sechs Wochen täglich an einer Sitzung mit progressiver Muskelentspannung teil. Eine signifikante Herabsetzung des Erschöpfungsniveaus und eine ebenso deutliche Verbesserung der Schlafqualität wurde festgestellt.
Progressive Muskelentspannung senkt Bluthochdruck
Im Fachmagazin Holistic Nursing Practice wurde schon im Jahr 2003 eine Studie veröffentlicht, in der 20 von 40 Patienten einer Bluthochdruckambulanz in Taiwan vier Wochen lang einmal wöchentlich eine Behandlung mit progressiver Muskelentspannung erhalten hatten. Sie übten darüber hinaus auch täglich zu Hause. Das Training zeigte eine sofortige Wirkung. Sowohl der Puls als auch der systolische und diastolische Blutdruck konnten deutlich gesenkt werden und die Teilnehmer zeigten eine sichtbar verringerte Stresswahrnehmung.
Progressive Muskelentspannung bei Lungenkrankheiten
Auch bei Patienten mit COPD – einer inzwischen sehr verbreiteten und lebensbedrohlichen Lungenkrankheit – kann die progressive Muskelentspannung helfen. Denn schwere Atemwegserkrankungen gehen immer auch mit Ängsten, Erschöpfung und schlechter Schlafqualität einher. Dies zeigte eine türkische Studie mit 45 Teilnehmern im Jahr 2015, in der sich dank PM alle genannten Punkte deutlich verbessern liessen.
Beim Asthma – einer chronischen und häufigen Atemwegserkrankung – spielen psychische Faktoren wie Stress und Ärger ebenfalls eine grosse Rolle. In der Schwangerschaft kann Asthma die Gesundheit des Kindes gefährden, weshalb schwangere Frauen Asthmaanfälle möglichst vermeiden sollten. Die progressive Muskelentspannung kann dabei helfen. Sie reduziert nicht nur den Auslöser Stress, sondern natürlich auch die Menge der Asthmamedikamente.
In einer psychosomatischen Klinik in Deutschland wurde bei 64 schwangeren Frauen mit bronchialem Asthma die Wirkung der progressiven Muskelentspannung getestet. Je 32 Frauen erhielten über 8 Wochen hinweg eine Anleitung zur PM oder eine Placeboanwendung. In der PM-Gruppe zeigten sich signifikante Verbesserungen. Der Blutdruck konnte reguliert werden und verschiedene Lungenfunktionsparameter besserten sich merklich.
In einer weiteren kontrollierten Studie mit insgesamt 83 Teilnehmern, die unter chronischen Atembeschwerden litten, konnte durch progressive Muskelentspannung ebenfalls eine Verbesserung ihrer Gemütslage und Angstzustände erzielt werden.
Progressive Muskelentspannung bei Krebs
Wer eine Krebsdiagnose erhalten hat, plagt sich ebenfalls oft mit Ängsten. Gleichzeitig kommt es zu Erschöpfung, so dass sich beide Zustände nicht selten abwechseln. Werden dann noch Chemotherapien und Bestrahlungen eingesetzt, kämpfen die Patienten mit den entsprechenden Nebenwirkungen, wozu starke Müdigkeit, Erbrechen und Übelkeit gehören.
Die progressive Muskelentspannung wirkt sich bei vielen Nebenwirkungen der Chemotherapie positiv beziehungsweise lindernd aus. So reduziert sie beispielsweise die meist auftretende Übelkeit mit Erbrechen. Auch die Stimmungsschwankungen, die oft bei einer Krebserkrankung oder anderen schweren Erkrankungen auftreten, liessen sich mit der progressiven Muskelentspannung reduzieren.
Im Asian Pacific Journal of Cancer Prevention las man im Jahr 2015, dass Frauen mit Brustkrebs viel weniger an Angstzuständen litten, wenn sie die progressive Muskelentspannung praktizierten.
Ein Team von Wissenschaftlern in Malaysia konnte in einer Studie aus 2013 eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität sowie eine Verringerung der Depressionen und Ängste belegen, die zuvor 155 Patienten mit Prostatakrebs plagten.
In einer weiteren Studie – diesmal vom April 2010 – zeigte sich, dass die progressive Muskelentspannung die Schlafqualität verbessert und chemotherapiebedingte Erschöpfung verringert, wenn man während der Therapie regelmässig die progressive Muskelentspannung praktiziert.
Auch bei Bestrahlungen, die häufig zur Schmerzlinderung bei Krebs eingesetzt werden, vermag die progressive Muskelentspannung laut einer Studie von 2013 Schmerzen und Erschöpfung zu lindern.
Progressive Muskelentspannung bei Alzheimer
Bei der Alzheimer Krankheit kommen Verhaltensstörungen wie Angstzustände, Verwirrung und Reizbarkeit sehr oft vor und stellen für die Betroffenen eine grosse Belastung dar. In einer Studie (2010) mit insgesamt 34 Teilnehmern wurde die Wirkung der progressiven Muskelentspannung auf die oben genannten Störungen bei Alzheimerpatienten getestet. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen unterteilt, wovon eine Gruppe mit progressiver Muskelentspannung behandelt wurde. Die andere diente als Kontrollgruppe.
In der PM-Gruppe konnten die vorliegenden psychischen Störungen deutlich gelindert werden. Ausserdem zeigten sich eine Gedächtnisverbesserung und auch eine sprachliche Verbesserung.
Progressive Muskelentspannung bei Autismus
Bei einer Studie in Kansas mit einem autistischem Jungen konnten durch die progressive Muskelentspannung verschiedene Verhaltensstörungen deutlich verbessert werden. Insgesamt zeigte der Junge dank der PM ein viel entspannteres Verhalten.
Progressive Muskelentspannung nach Jacobson – Die Praxis
Bei all diesen äusserst positiven Auswirkungen der progressiven Muskelentspannung möchten Sie sicher sofort damit beginnen. Und genau das ist auch möglich. Denn die progessive Muskelentspannung ist völlig kostenlos. Sie benötigen dafür nichts weiter als Konzentration, Motivation und täglich etwas Zeit für die Übungen.
Diese bestehen aus einem zweistufigen Prozess: Zunächst spannen Sie einzelne Muskelgruppen bewusst und stark an, z. B. die Schultern oder den rechten Arm. Dann lösen Sie die Spannung wieder und spüren, wie sich die Muskeln anfühlen, wenn Sie sie bewusst los lassen und entspannen.
Das langfristige Ziel lautet: die Muskelspannung weit unter das normale Spannungsniveau zu senken, wann immer Sie es möchten oder brauchen.
Sie werden auf diese Weise Ihren Stresslevel und Ihre psychische Anspannung reduzieren können, Sie werden besser entspannen können, ganz besonders dann, wenn Sie sich mal wieder gestresst oder ängstlich fühlen. Auch körperliche Beschwerden lassen sich mit der progressiven Muskelentspannung bessern, z. B. nervöse Magenprobleme, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen.
Gerade Menschen mit Angstzuständen sind oft permanent so verspannt, dass sie schon gar nicht mehr wissen, wie es ist, sich entpannt zu fühlen. Die Anspannung ist für sie ein Dauerzustand geworden.
Wer jedoch die progressive Muskelentspannung praktiziert, erkennt bereits nach wenigen Tagen, wie sich echte Entspannung anfühlt. Man lernt wieder den Unterschied zu erspüren, zwischen Anspannung und Entspannung, was vielen Menschen, die unter Dauerstress stehen, längst verloren gegangen ist.
Sobald dann die Muskelanspannung in einer stressigen Situation zurückzukehren droht, können Sie diese bereits im Ansatz identifizieren. Sie können sodann gegensteuern, dass es erst gar nicht zu Ängsten, Ärger und anderen starken unerwünschten Emotionen kommt. Denn oft geht die Muskelanspannung den Emotionen voraus. Bremst man die Muskelanspannung, bremst man auch die Emotion.
Progressive Muskelentspannung – Tipps, bevor Sie loslegen
- Für einen Durchgang mit der progressiven Muskelentspannung nehmen Sie sich bitte ausreichend Zeit. Auch wenn es oft heisst, man benötige nur 15 Minuten, planen Sie besser 30 bis 45 Minuten ein, besonders am Anfang, wenn Sie noch nicht routiniert sind.
- In den ersten zwei Wochen sollten Sie die Übung am besten zweimal täglich durchführen. Je intensiver Sie üben, umso schneller und besser können Sie die Entspannung abrufen, wenn eine Stresssituation naht.
- Üben Sie anfangs besser nicht, wenn Sie mitten in einer Panikattacke stecken, gerade eine Auseinandersetzung hinter sich haben oder anderweitig aufgewühlt sind. Üben Sie lieber, wenn Sie sich relativ ruhig fühlen. Sie lernen dann schneller und können die Übung später auch leichter in jenen Situationen umsetzen, wenn Sie sich gestresst fühlen.
- Suchen Sie einen Ort auf, wo Sie ungestört sind. Schalten Sie also das Handy aus, stecken Sie das Festnetztelefon aus oder stellen Sie es auf lautlos.
- Sie können sich hinlegen. Meist wird die Übung jedoch im Sitzen durchgeführt, damit man mit den Füssen fest auf dem Boden steht, etwa in einem gemütlichen Sessel, in dem man sich etwas nach hinten lehnen kann.
- Abends im Bett kann die Übung das Einschlafen erleichtern. Doch ist das Ziel ja nicht, bei der Übung einzuschlafen, sondern einen entspannten Zustand während des Wachseins zu erreichen. Daher kann der abendliche Durchgang zusätzlich durchgeführt werden. Er sollte jedoch den oder die beiden Hauptdurchgänge nicht ersetzen.
- Ziehen Sie für die Übung die Schuhe aus und tragen Sie bequeme Kleidung.
- Atmen Sie jetzt fünfmal tief und langsam ein und aus, bevor Sie starten.
Progressive Muskelentspannung – Die Anleitung
Beginnen Sie mit dem ersten Schritt:
1. Spannung aufbauen!
Atmen Sie langsam und tief ein. Machen Sie dann eine Faust und drücken Sie die Faust so fest zu, wie Sie nur können. Halten Sie die Spannung 5 bis 7 Sekunden lang. Anfangs können Sie die Anspannung auch länger halten, bis Sie ein Gefühl dafür entwickelt haben, wie stark Sie eigentlich Ihre Faust zusammendrücken können. Denn oft spannt man die Muskulatur anfangs nicht so stark an, wie man eigentlich könnte. Finden Sie daher in aller Ruhe heraus, wie stark Sie eigentlich sind.
Spannen Sie nur die ausgewählte Muskelgruppe an. Der Rest des Körpers sollte so locker wie möglich bleiben. Spannen Sie also NICHT auch gleichzeitig Arm und Schulter an. Nur die Handmuskeln. Es kann sein, dass Sie zu zittern beginnen. Das macht nichts. Je fester Sie Ihre Muskeln anspannen, umso besser.
Natürlich sollten Sie keine Schmerzen empfinden – und falls Sie an einer Muskelkrankheit oder an Sehnenschmerzen leiden oder kürzlich einen Knochenbruch erlitten haben, sprechen Sie mit Ihrem Arzt, bevor Sie die progressive Muskelentspannung ausprobieren.
Gehen Sie jetzt zum zweiten Schritt über:
2. Muskeln entspannen!
Nach den genannten 5 bis 7 Sekunden Anspannung lassen Sie die Muskelanspannung schnell los und schenken Ihrer Hand vollkommene Entspannung. Atmen Sie gleichzeitig tief aus.
Spüren Sie, wie Ihre Muskeln ganz schlaff und locker werden. Fühlen Sie den Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung. Das Nachspüren ist sehr wichtig, ja es ist der wichtigste Teil der ganzen Übung. Verinnerlichen Sie das Gefühl der Entspannung in Ihrer Hand für mindestens 15 Sekunden. Besser sind 30 bis 45 Sekunden.
Gehen Sie dann zur nächsten Muskelgruppe über. Wiederholen Sie jetzt mit jeder weiteren Muskelgruppe die beschriebenen zwei Schritte.
Wenn Sie alle Muskelgruppen angespannt und wieder entspannt haben, bleiben Sie noch eine Weile in Ihrem tiefenentspannten Zustand.
Möglicherweise ist es für Sie zunächst ungewohnt, in aller Ruhe bei sich und Ihren Empfindungen zu bleiben. Auch wenn Sie beginnen, nervös zu werden, konzentrieren Sie sich und führen Sie die Übung Schritt für Schritt durch. Schon nach wenigen Tagen werden Sie die progressive Muskelentspannung lieben und nicht mehr missen wollen.
Die Muskelgruppen
Beginnen Sie die Übung am besten bei einem Fuss (also dem rechten oder dem linken, nicht mit beiden Füssen gleichzeitig) und bewegen sich dann immer weiter nach oben. Wenn Sie mit einem Bein fertig sind, gehen Sie zum Fuss des anderen Beines über.
Hier die Reihenfolge, die Sie wählen können. Natürlich können Sie auch bei der Stirn beginnen und sich nach unten vorarbeiten.
- Füsse (drücken Sie die Füsse auf den Boden oder rollen Sie – wenn Sie liegen – die Zehen sohlenwärts)
- Waden (ziehen Sie die Zehen zu sich, um die Wadenmuskulatur anzuspannen)
- Ganzes Bein (zusätzlich zur Wadenmuskulatur wird jetzt auch der Oberschenkelmuskel angespannt)
- Wiederholen Sie nun den Ablauf mit Ihrem anderen Bein
- Hand (ballen Sie eine Hand zur Faust)
- Arm (spannen Sie die Armmuskeln an, entweder bei ausgestrecktem Arm oder aber, indem Sie den Arm anwinkeln, um Ihren Bizeps anszuspannen)
- Wiederholen Sie auch diesen Ablauf auf der anderen Körperseite
- Pobacken (spannen Sie Ihre Pobacken an, denken Sie daran, NUR die Pobacken anzuspannen, nicht auch die Oberschenkel oder den Bauch)
- Bauch (spannen Sie jetzt den Bauch an)
- Brust (spannen Sie die Brust an)
- Nacken und Schultern (ziehen Sie die Schultern bis zu den Ohren und spannen Sie alle verfügbaren Muskeln im Schulter- und Nackenbereich an)
- Mund (öffnen Sie den Mund so weit wie möglich, spannen Sie dabei die Mundpartie an, Sie können jedoch auch die Lippen fest zusammenkneifen, achten Sie darauf, die Zähne dabei nicht zusammenzubeissen)
- Augen (kneifen Sie die Augen zusammen, ziehen Sie dabei auch die Augenbrauen fest zusammen)
- Stirn (heben Sie die Augenbrauen, so weit es geht in die Stirn)
Lassen Sie sich anleiten!
Ideal ist es, wenn Sie die Anleitung hören können, Sie sie also nicht irgendwo ablesen müssen, da Sie dann immer wieder aus dem so wichtigen Entspannungszustand herausgerissen werden. Daher gibt es inzwischen viele CDs oder Online-Videos. Nutzen Sie sie! Natürlich können Sie sich die Anleitung auch selbst aufnehmen. Sprechen Sie dabei sehr langsam und machen Sie entsprechend lange Pausen. Das könnte z. B. so aussehen:
„Atme tief durch die Nase ein… halte den Atem für einige Sekunden an… und atme jetzt wieder aus… Atme erneut tief durch die Nase ein… und beobachte deinen Körper, wie er sich fühlt… Beginne bei deinem rechten Fuss… spanne dort alle Muskeln an, so fest du kannst, rolle dazu die Zehen sohlenwärts, halte die Spannung ganz fest… halte sie… sehr gut! Jetzt entspanne und atme aus. Lasse deinen Fuss ganz locker und leicht… fühle, wie die Spannung aus ihm herausfliesst, wie das Wasser aus einer Quelle. Beobachte den Unterschied zwischen dem Gefühl der Spannung und dem Gefühl der Entspannung… Atme nun tief durch die Nase ein… und spanne deine rechte Wade an, so fest du kannst…“ usw. usf.
Der Schnelldurchgang
Wenn Sie die progressive Muskelentspannung beherrschen und sie einige Wochen lang praktiziert haben, dann können Sie auch einmal eine Kurzversion ausprobieren, die noch weniger Zeit erfordert. Hierbei werden mehrere Muskelgruppen gleichzeitig angespannt und entspannt – und zwar die folgenden:
- Füsse und Beine
- Bauch und Brust
- Arme, Schultern und Nacken
- Gesicht
Wenn Sie also bisher immer nur den Mund oder die Augen angespannt haben, so spannen Sie im Schnelldurchgang alle verfügbaren Muskeln im Gesicht an. Oder statt bisher nur einen Fuss anzuspannen, spannen Sie jetzt beide Füsse und beide Beine an.
Vergessen Sie das richtige Atmen nicht während Spannung und Entspannung!
Wählen Sie Ihr persönliches Entspannungswort!
Eine noch stärkere Wirkung der progressiven Muskelentspannung können Sie erreichen, wenn Sie jeweils beim langsamen Ausatmen und Entspannen ein bestimmtes Wort zu sich selbst sagen, das die Entspannung begleitet, z. B. „Relax“ oder „Lass los“ oder „Bleib ruhig“ oder auch einfach nur „Friede“. Wählen Sie jedoch ein Wort, das Sie im Alltag möglichst wenig oder gar nicht verwenden.
Auf diese Weise verknüpfen Sie Ihren entspannten Zustand mit einem Wort, so dass Ihnen irgendwann schon allein das Wort, das Sie gewählt haben, Ruhe und Entspannung schenken kann. Sie müssen das Wort dabei nicht laut sagen (wobei dies natürlich sehr hilfreich wäre), Sie können es auch ganz intensiv denken.
Natürlich ist diese Vorgehensweise nur für Notfälle gedacht, wenn Sie beispielsweise irgendwo in Stress geraten und es keine Möglichkeit gibt, die progressive Muskelentspannung zu praktizieren. Denn würden Sie ab sofort ausschliesslich das Wort verwenden, würde es irgendwann seine Wirkung verlieren.
Wir wünschen Ihnen nun viel Erfolg mit der progressiven Muskelentspannung! Ihr Team vom Zentrum der Gesundheit
Zusätzlich sollten Sie Ihr Nervensystem mit der richtigen Ernährung versorgen, wie wir hier erklären: Nervennahrung gegen Stress
Auch sog. Adaptogene, Pflanzen, die vor Stress schützen, sind eine gute Möglichkeit, die persönliche Stressempfindlichkeit zu reduzieren, wie z. B. Rhodiola rosea, die Rosenwurz: Rhodiola – Stresskiller und natürliches Antidepressivum
Quelle: Die progressive Muskelentspannung nach Jacobson
Kommentar: Die progressive Muskelentspannung ist neben dem autogenen Training ebenfalls Teil von unserem individuellen, ganzheitlichen Personal Training. Hier finden Sie mehr Informationen. Fragen Sie gerne unverbindlich an: Kontakt