Der Rauch der Ahnen

Wer auf einem Geister-Kranich ins Reich der Mitte f liegen will, der zünde chinesisches Räucherwerk (Joss-Sticks) an, dessen Duft den magischen Vogel nährt; wer sich zur Meditation ans lehmige Ufer des Ganges setzen will, der verbrenne Agarbatti; und wer sich die bewaldeten, schneegekrönten Berge und weiten Steppen des amerikanischen Westens vergegenwärtigen will, der räuchere mit Präriebeifuß. Die Düfte der Wurzeln und Kräuter in den Räucherstoffen sind Botschaften dieser fernen Länder an unsere Seele.

Rauch ist alles irdische Wesen; wie es Dampfes Säule weht, schwinden alle Erdengrößen, nur die Götter bleiben stet.

– Schiller, »Das Siegesfest

Welche Räuchereien sind denn bei uns einheimisch?

Will man aber hier sein, im Herzen Europas, will man sich mit der hiesigen Landschaft, mit den hier beheimateten Erdmännlein, Baumgeistern, Elfen und Naturgottheiten verbinden, dann sollte man unbedingt die aromatischen Pflanzen verwenden, die auch hier wachsen.

Will man sich mit den Ahnen, die einst hier lebten und deren Knochen in dieser Erde ruhen, verbinden, dann sollte man sich ebenfalls den einheimischen Räucherstoffen zuwenden. Denn sie sind und waren schon lange Teil des »morphogenetischen Feldes«, an dem die lokalen Naturgeister wie auch die Vorfahren teilhaben. Diese Räucherpflanzen sind Teil der Heimat unserer Seele. Sie verbinden uns mit der spirituellen Seite unserer inneren und äußeren Natur. Aus dieser Verbindung entsteht wirklicher – nicht nur abstrakt vorgestellter – Segen für uns und für die Mitwelt.

Welche Räuchereien sind denn bei uns einheimisch? Der wohlduftende Weihrauch der Kirchen ist seit über tausend Jahren Teil des spirituell-kulturellen morphogenetischen Feldes. Aber es gibt ältere Räucherstoffe, die schon den vorchristlichen Kelten, Germanen, Slawen und Latinern, ja sogar schon den Megalithbauern, den Pfahlbauern und noch früher den Steinzeitmenschen heilig waren, ihre Seelen zu öffnen und mit dem geheimnisvollen Geist zu verbinden vermochten.

An erster Stelle der verschiedenen möglichen heiligen Räucherpflanzen standen Beifuß, Wacholder, Mariengras und Tannenharz. Diese wollen wir nun näher betrachten. Um es vorwegzunehmen: Beifuß öffnet den sakralen Raum, in dem sich das Heilige, das göttliche Mysterium, offenbaren kann; Wacholder verleiht Schutz – er schützt diesen sakralen Raum; Mariengras, einst der holden Göttin geweiht, zieht gute, friedvolle Einflüsse und Wesen in diesen Raum hinein; Tannenharz gibt der Seele Innigkeit, vermittelt ein Weihegefühl.

Um eine Trance oder weihevolle Stimmung zu lenken, können selbstverständlich auch andere einheimische Duftkräuter und magische Kräuter hinzugefügt werden: Johanniskraut, das der Seele Sommerlicht vermittelt; Baldrianwurzel, die Ruhe vermittelt, als liege man auf einem Moosbett im schattigen Sommerwald; Wiesenthymian, der den Mut stärkt; Dost, der vor bösen Einflüssen schützt; Eisenkraut, das das Selbstbewusstsein stärkt usw. Jede Droge (= trockenes Kraut, Frucht oder Wurzel) verleiht der Räucherung, je nach Bedarf, eine andere Qualität.

Quelle: Der Rauch der Ahnen