Gesellschaft auf der Suche nach Erneuerung

Manchmal gerät eine Gesellschaft in eine Sackgasse. Verlorene, verheerende Kriege, Besetzungen durch fremde, feindliche (koloniale) Truppen, Seuchen, anhaltende Hungersnöte, Naturkatastrophen und andere erschütternde Ereignisse können den Glauben an die eigenen überlieferten Erklärungsmuster und an die sinnstiftende Kraft der kulturellen Symbole aushöhlen, und einen Zustand zur Folge haben, den Sozialwissenschaftler als kollektive »kognitive Dissonanz« bezeichnen. Unter solchen Umständen können Grundbedürfnisse kaum mehr befriedigt werden.

Wen die Götter vernichten wollen, den machen sie zuerst wahnsinnig.

– Euripides

Kollektive Neuorientierung

Nichts macht mehr Sinn; die Menschen fühlen sich ohnmächtig und wissen nicht mehr, an was sie glauben sollen; es ist, als hätten die Götter, Ahnen und alle guten Geister die Welt verlassen. Die Gesellschaftsordnung löst sich auf. Unzucht, Verwahrlosung, Drogen- und Alkoholexzesse, Gewalttaten und andere soziologische Verzerrungen nehmen Überhand. Ein Zustand der Anomie – so nannte es der Soziologe Émile Durkheim – entsteht. Menschen werden von Zukunftsangst getrieben, geraten in Panik, sind unzufrieden und erleiden individuellen Stress.

Der Weg zurück zur Natur ist zugleich der Weg zu unserem wahren Selbst.

Wald

Solche Situationen erfordern eine kollektive Neuorientierung. Die dynamischen sozialen  Prozesse, die dabei in Gang gesetzt werden, werden oft begleitet von aggressiven, ekstatischen oder religiösen Wallungen. Außenseitern erscheinen diese Wallungen fast immer als gefährlich, bizarr oder irrational. Diese Transformationsprozesse werden meistens missverstanden und fordern Gegenreaktionen – Bestrafung, Sanktionen, Meidung, Repressionen – heraus.

Notwendig, also das »Not Wendende«, etwas, das die Not ins Gute wendet, ist es, der Erde und dem Leben treu zu bleiben.

Solche Krisenzeiten sind der Nährboden für visionäre charismatische Persönlichkeiten, für Alleserklärer und spirituelle Führer, die mit meist irrationalen Heilsbotschaften in Erscheinung treten. Diese Propheten müssen nicht besonders intelligent sein, nur überzeugend. Oft behaupten sie, die Heilsbotschaft von den Ahnengeistern, den Göttern, von Gott oder der Vorsehung empfangen zu haben.

»Ihr seid schuld für die Missgeschicke, die ihr erleidet. Tut Buße, folgt der Heilsbotschaft und ändert euer Leben, wenn ihr gerettet werden wollt. Die Zeit ist knapp, das Tor zur Umkehr steht nicht lange offen, der Punkt, an dem es kein Zurück (point of no return) mehr gibt, steht unmittelbar bevor«, so lautet die Botschaft, die sich dann oft wie ein Lauffeuer unter den verwirrten Menschen ausbreitet und zu Massenbewegungen und schließlich zur Neuordnung des kulturellen Lebens führt.

Wer immer die uns beeinflussenden Geister sind, an ihren Früchten wird man sie erkennen. Wir sollten in unserer Mitte bleiben und genau prüfen, woher unsere Eingebungen kommen. Die Freiheit des Menschen besteht darin, dass er die Macht besitzt, diesen Wesenheiten das Tor ins Dasein zu öffnen oder ihnen den Zutritt zu verwehren. Danach haben die Menschen keine Kontrolle mehr über sie.

Quelle: Gesellschaft auf der Suche nach Erneuerung