Vorteile Intervallfasten in den „Qualitätsmedien“ angekommen: „Nach zwei Wochen ist der Hunger weg“
Tage- oder stundenweise aufs Essen verzichten: Immer mehr Studien legen nahe, dass auch Intervallfasten positive Effekte hat. Der Biochemiker Frank Madeo erklärt, wie dieser Jungbrunnen funktionieren könnte.
SPIEGEL ONLINE: Herr Madeo, es ist jetzt drei Uhr nachmittags. Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?
Frank Madeo: Gestern Abend.
SPIEGEL ONLINE: Und wann gibt es die nächste Mahlzeit?
Madeo: Heute Abend.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie Hunger?
Madeo: Nein, mein Körper ist daran gewöhnt, dass ich nur alle 20 Stunden abends etwas esse. Ich fühle mich dadurch fitter, gesünder und energetischer als früher.
SPIEGEL ONLINE: Ich fühle vor allem ein Loch im Bauch, wenn ich morgens nichts esse.
Madeo: Das war bei mir früher auch so. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Die meisten berichten – und mir ging es genauso -, dass die Umstellung etwa zwei Wochen dauert. Dann ist der Hunger weg und der Körper braucht stundenlang keine Nahrung mehr. Wenn man einen wiederkehrenden Rhythmus für die Fastenphasen wählt und die natürliche Esspause in der Nacht nutzt, hat man sich schnell an Pausen von 15-16 Stunden gewöhnt.
SPIEGEL ONLINE: Wo sind die fünf bis sieben kleinen, über den ganzen Tag verteilten Portionen geblieben, die Ernährungswissenschaftler gerade noch predigten?
Madeo: Davon entfernen wir uns tatsächlich. Wer ständig isst, dessen Insulinspiegel wird ständig hochgehalten, was wiederum hungrig macht. Es gibt da einen interessanten Mäuseversuch: Eine Gruppe von Tieren durfte 24 Stunden lang fressen. Sie wurden fett und bekamen Diabetes. Die zweite Gruppe kam täglich nur zwischen 10 und 12 Stunden an dieselbe Menge Futter heran. Diese Tiere blieben schlank und gesund.
SPIEGEL ONLINE: Was bei Tieren funktioniert, muss nicht unbedingt auf den Menschen zutreffen.
Madeo: Richtig, aber erstens profitiert verschiedenen Studien zufolge eine Vielzahl verschiedener Lebewesen von Hefen über Fruchtfliegen und Mäusen bis hin zu Affen von Nahrungspausen. Da liegt es doch nahe, das zumindest auch beim Menschen zu überprüfen. Und zweites gibt es bereits Untersuchungen mit Menschen, die positive Effekte nahelegen.
SPIEGEL ONLINE: An der Universität Graz untersuchen Sie gerade die Auswirkungen des periodischen Fastens auf den Menschen. Wie wollen Sie die messen?
Madeo: Wir haben 100 Probanden untersucht. 50 von ihnen haben mindestens 6 Monate im 1:1-Intervall gefastet, das heißt, sie haben einen Tag gegessen und dann einen Tag gefastet, immer abwechselnd. Die anderen 50 durften immer essen. Zu Beginn und am Ende der vierwöchigen Untersuchungsphase haben wir Tausende Daten erhoben vom Blutdruck über Insulinwerte bis zur Knochendichtemessung. Um zu untersuchen, was die kurzfristigen und was die langfristigen Effekte sind, haben wir die 50 „Normalesser“ zufällig in zwei Gruppen gespalten: Eine, die 4 Wochen lang Intervallfasten durchführt und eine, die weiter isst.
SPIEGEL ONLINE: Was erwarten Sie?
Madeo: Neben vielen anderen Effekten vor allem, dass der durchschnittliche Blutdruck sinkt, der Zuckerspiegel abfällt und die Entzündungsmarker runtergehen. Außerdem wissen wir, dass sich der Zellstoffwechsel verändert, weil die Zellen ohne Nahrung auf eigene Reserven zurückgreifen müssen. Sie zersetzen dann alte, geschädigte Bestandteile, die Krebs oder Neurodegeneration auslösen können, und gewinnen dadurch Energie. Diesen Prozess nennt man Autophagie.
SPIEGEL ONLINE: Für die Erforschung der Autophagie hat der Japaner Joshinori Ohsumi 2016 den Nobelpreis bekommen. Sie befinden sich in bester Forschergesellschaft.
Madeo: Zu Beginn war das nur sehr abstrakte Grundlagenforschung. Jetzt ist allen bewusst, dass das mit Gesundheit zu tun hat.
SPIEGEL ONLINE: Bislang halten viele Menschen Fasten dennoch für esoterischen Unsinn.
Madeo: Zu Unrecht, Fasten gehört raus aus der esoterischen Schmuddelecke. Das wissenschaftliche Fundament für die positiven Effekte wird immer größer. Zum Beispiel wissen wir schon lange, dass Fettreserven mobilisiert werden müssen, wenn man fastet. Diese werden zur Leber gebracht, dort in Ketonkörper umgewandelt und dann in allen möglichen Organen zur Energiegewinnung verwendet. Das ist eine riesige metabolische Umstellung und einer der Gründe, warum Fasten die Gesundheit fördert.
SPIEGEL ONLINE: Kann man mit Intervallfasten gut abnehmen?
Madeo: Das ist für mich eher ein Nebeneffekt. Wer übergewichtig ist, wird sicherlich aus dem einfachen Grund abnehmen, dass er in einem kleinen Zeitfenster wahrscheinlich weniger Kalorien zu sich nimmt als in einem großen. Normalgewichtige verlieren dagegen vielleicht gar kein Gewicht. Trotzdem werden sie gesünder: Das viszerale Fett etwa, das ein erhöhtes Risiko für Herzkreislaufkrankheiten, Schlaganfälle und Diabetes Typ 2 anzeigt, schmilzt. Und auch bei Normalgewichtigen spielen Autophagie und Ketonkörper natürlich eine wichtige Rolle.
SPIEGEL ONLINE: Wenn man wieder normal isst, sind diese Effekte aber wieder futsch, richtig?
Madeo: Wer einmal im Leben fünf Tage fastet und danach viel ungesundes Zeug in sich hineinstopft, wird nicht langfristig profitieren. Viele entwickeln aber nach einer Fastenkur ein anderes Bewusstsein für Ernährung. Und Intervallfasten kann man ohnehin ein Leben lang machen.
SPIEGEL ONLINE: Hand aufs Herz: Sie schummeln nie?
Madeo: Doch klar, ich bin da nicht dogmatisch. Wenn es ein besonderes Frühstücksbüffet gibt, unterbreche ich meinen Rhythmus. Es ist schließlich die Gewohnheit, die einen umbringt, nicht die Ausnahme.