MACH DICH LANG: Maximale Wirkung mit der richtigen Dehntechnik

Für Jogger ist die kurze Dehnpause am Brückengeländer oft so selbstverständlich wie es für Berufsfußballer ein ausgefeiltes Dehnprogramm mit gehaltenen und dynamischen Übungen ist. Zu Recht. In manchen Fällen ist es jedoch wichtig, auf die Dehntechnik zu achten, um positive Effekte erzielen, denn abhängig von was du mit dehnen erreichen willst, kann die falsche Technik auch gegenteilige Auswirkungen haben!

In der Regel werden mit Dehnübungen drei mögliche Ziele verfolgt: Beweglichkeit verbessern, Leistung steigern und Verletzungen vorbeugen.

„Am besten belegt ist der Nutzen für die Beweglichkeit“, sagt Frank Diemer, der das Stuttgarter Fortbildungsinstitut für Orthopädische Medizin und Manuelle Therapie (FOMT) leitet. Die Vorstellung, dass verkürzte Muskeln die Beweglichkeit einschränken und umgekehrt durch das Dehnen wieder „verlängert“ werden können, ist wissenschaftlich so nicht belegt. „In den meisten Untersuchungen wird die Muskellänge gar nicht gemessen“, fasst Frank Diemer zusammen. Studien deuten vielmehr darauf hin, dass ein großer Anteil der Wirkung im Kopf erzielt wird: Wer regelmäßig dehnt, erhöht seine Schmerztoleranz und kann dadurch tiefer in zuvor als schmerzhaft empfundene Positionen gehen. Hierfür muss allerdings mindestens vier Minuten pro Muskelgruppe gedehnt werden, und das mindestens zweimal pro Woche. „Bei kürzeren Dehnzeiten oder geringerer Frequenz verpufft der Zuwachs an Beweglichkeit schnell wieder“, sagt Diemer.

Mit welcher Technik gedehnt wird, scheint, in Bezug auf die Beweglichkeit, weniger wichtig zu sein: Wer lieber statisch dehnt – also die gedehnte Position über einen Zeitraum von meist 20 bis 30 Sekunden beibehält – kann seine Beweglichkeit ebenso effektiv verbessern wie Sportler, die dynamische Übungen bevorzugen. Dabei wird immer wieder kurz in die gedehnte Position hineingefedert. „Auch eine neurophysiologische Dehnung kann die Beweglichkeit verbessern“, erläutert Diemer. Bei dieser Technik werden neurologische Mechanismen ausgenutzt, um besser dehnen zu können. „Die genauen Zusammenhänge sind noch nicht bis ins Letzte erforscht. Man vermutet jedoch, dass es zu einer veränderten Wahrnehmung des Dehnschmerzes kommt, wenn der Muskel, der gedehnt werden soll, zuvor einige Sekunden lang stark angespannt wurde.“

Auch für das zweite Dehnungsziel, das Verbessern der sportlichen Leistung, sieht Frank Diemer wissenschaftliche Evidenz. Allerdings scheinen hier nur die dynamischen Übungen wirksam zu sein. „Wer statisch oder neurophysiologisch dehnt, kann seine Leistung sogar beeinträchtigen“, mahnt er. Und zwar umso mehr, je länger gedehnt wird. Umgekehrt gilt auch für die dynamischen Übungen: Dehnzeiten unter 60 Sekunden sind praktisch nutzlos, erst darüber beginnt sich ein positiver Effekt auf die sportliche Leistung abzuzeichnen. Allerdings sollten die Übungen auch nicht bis zur Ermüdung ausgeführt werden.

Das wichtigste Dehnungsziel ist für viele Sportler der Schutz vor Verletzungen. Hier ist die Studienlage widersprüchlich. In seinem Beitrag verweist jedoch auf eine Studie, in der nach Dehnarten und -zeiten, sowie nach Art der Verletzung getrennt analysiert wurde. Hier konnte die Zahl der Muskelverletzungen um rund die Hälfte reduziert werden, wenn vor dem Training mindestens fünf Minuten pro Muskelgruppe gedehnt wurde. Allerdings galt dies nur für statische und neurophysiologische Übungen – also gerade das, was unter Umständen die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.

Auch wenn die Zusammenhänge noch nicht abschließend geklärt sind, zieht Frank Diemer ein positives Fazit: „Wer entsprechend seinem Ziel die richtige Technik beim Dehnen anwendet, wird beweglicher, steigert seine sportliche Leistung und reduziert das Risiko für akute Muskelverletzungen.“


“Dehnen- oder nicht?”, Frank Diemer in der Fachzeitschrift „physiopraxis“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2018)

Quelle: MACH DICH LANG: Maximale Wirkung mit der richtigen Dehntechnik