Mit alten Sorten zu einer neuen Vielfalt

75 % der weltweiten Vielfalt an Nutzpflanzen ist bereits verloren. In Deutschland sind es beinahe 90 %. Diese Zahlen verdeutlichen, wie wichtig die Erhaltung alter Sorten und damit der Kulturpflanzenvielfalt ist. Neben ökologischen Gründen ist deren Erhaltung für zukünftige Züchtungen von großer Bedeutung. Was das Besondere an alten Sorten ist und warum wir die Kulturpflanzenvielfalt schützen sollten, erfährst du in diesem Artikel. Zudem erklären wir dir, was du tun kannst, um den Anbau und die Erhaltung alter Sorten zu fördern.

Auf einen Blick:

Mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft entwickelte sich eine rießige Vielfalt an Kulturpflanzen, die durch die Industrialisierung der Landwirtschaft stark verschwand!

Dabei haben alte Sorten einige Besonderheiten, die es sich lohnt zu erhalten:

  • Samenfestigkeit zum eigenen Nachbau
  • Außergewöhnliche Farben- und Formenvielfalt
  • Große Geschmacksvielfalt und damit auch eine gesundheitsfördernde Wirkung durch einen höheren Gehalt von sekundären Pflanzenstoffen

Alte Sorten bewahren durch Nutzung

  • Neben der konservierenden Erhaltung in Genbanken (ex-situ-Erhaltung) ist die on-farm-Erhaltung wichtig, um Sortenmerkmale züchterisch zu erhalten
  • Einige Erhaltungsinitiativen wie z.B. der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN), Bingenheimer Saatgut oder Dreschflegel versuchen eine möglichst große Kulturpflanzenvielfalt zu erhalten

Das kannst du tun, um alte Sorten zu bewahren:

  • Alte Sorten im eigenen Garten anbauen, Saatgut vermehren und mit Anderen teilen
  • Auf alte Sorten aufmerksam machen
  • Saatgut-Tauschbörsen organisieren
  • Eine Patenschaft für alte Sorten übernehmen
  • Vielfalt genießen, erleben und mit anderen begeisterten Sortenerhaltern feiern

Eine große Vielfalt entsteht…

Mit der Sesshaftigkeit der Menschen begann auch der gezielte Anbau verschiedenster Nutzpflanzen. Die Nutzung von Naturstoffen von Pflanzen und Tieren bildet seit jeher die Grundlage unserer Existenz. Neben Nahrung liefern Pflanzen auch Fasern, Farbpigmente und Baumaterialien für Werkzeuge. Mit der steigenden Nutzung dieser natürlichen Ressourcen wurden Obst-, Gemüse- und Getreidepflanzen aufgrund subjektiv ausgewählter Merkmale selektiert und gezielt weitervermehrt. Dabei wurden vorrangig Pflanzen gewählt, die besonders gut an die vorherrschenden Umweltbedingungen angepasst waren oder geschmacklich glänzten. So nahm die Domestikation ihren Lauf und mit der Nutzung für den Menschen wichtiger Nutzpflanzen entstand über Generationen hinweg eine wunderbar bunte Vielfalt unterschiedlichster Gemüse- und Obstsorten. Diese Land- und Hofsorten entwickelten sich auf einer kleinen regionalen Ebene, also in einer Nachbarschaft oder in einem kleinen Dorf. Dadurch haben sie sich über Jahrzehnte hinweg an lokale Umweltbedingungen wie beispielsweise Klima, Niederschlag, Bodenart und Bodenleben angepasst. Die Arten und Sorten entwickelten sich so mit ihrer Umwelt weiter, wodurch Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen den Pflanzen und den im Ökosystem lebenden Tieren und Insekten entstanden. Die größte Vielfalt an Nutzpflanzen gab es um das Jahr 1800 herum, was sich mit dem Beginn der industriellen Landwirtschaft rasch änderte.

Alte Sorten – Vergessene Schätze aus vorindustrieller Zeit

Die Sortenvielfalt schwindet mit der Industrialisierung der Landwirtschaft

Mit der Industrialisierung und Technisierung der Landwirtschaft fand ein Strukturwandel statt, der bis heute andauert. Die Landwirtschaft entwickelte sich von der Selbstversorgung hin zu einer Marktversorgung. Sie ist von nun an ein Gewerbezweig, bei dem Ertrags- und Gewinnmaximierung im Fokus stehen. Damit werden kleinbäuerliche Betriebe zu einem Auslaufmodell und immer mehr verdrängt. Die Zahl der Betriebe sinkt jedes Jahr, dagegen werden die übrigen Betriebe stetig größer. Dieser Strukturwandel hat zur Folge, dass sich die Zahl der Betriebe etwa alle 20 Jahre halbiert. Mit dieser Entwicklung änderten sich auch die Anforderungen an Nutzpflanzen. Für die industrielle Landwirtschaft liegt der Fokus der Züchtung auf hohen Erträgen, Resistenzen gegen spezifische Schaderreger und Krankheiten, sowie einer möglichst großen Einheitlichkeit der einzelnen Individuen einer Sorte und ihren Ernteprodukten. Mit den kleinbäuerlichen Strukturen hat auch die traditionelle Züchtung eigener Sorten immer mehr abgenommen. Von nun an züchteten spezialisierte Betriebe gezielt Nutzpflanzen, die den Anforderungen der industriellen Landwirtschaft gerecht werden. So entstand die professionalisierte Pflanzenzüchtung. Hierbei wurden Pflanzen mit den gewünschten Merkmalen selektiert und gezielt gekreuzt. Es entstanden neue Sorten, die überregional verbreitet wurden. Dadurch gerieten alte, regionale Sorten in Vergessenheit und verschwanden von den Feldern. Einige alte Sorten und mit ihnen ihr wertvolles Genmaterial sind sogar ganz verschwunden (genetische Erosion).

Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft ging ein Strukturwandel einher. Es entstanden große landwirtschaftliche Flächen, die mit Hilfe von Maschinen bewirtschaftet werden. Bild: anaterate auf Pixabay.

Mit diesen strukturellen Veränderungen begann ein stetiger Rückgang der biologischen Diversität auf den Feldern und somit in unseren Landschaften. Es folgten infrastrukturelle und politische Anpassungen an die Industrialisierung im Landwirtschaftssektor, die diesen Rückgang rasant beschleunigten.

  • Zum einen die Flurbereinigung 1953: Hierbei wurde der Grundbesitz flächenmäßig erfasst und zu größeren, effektiver nutzbaren Flächen zusammengefasst. Das zerstörte bestehende, kleinräumige Landschaftsstrukturen. Dadurch wurde die Landschaft in sich homogener, was viele Lebensräume zerstörte. Zudem nahm die Kulturpflanzenvielfalt auf den Feldern ab. Denn um die größeren Felder effektiv und wirtschaflich zu nutzen, wurden Mischkulturen durch Monokulturen ersetzt. Dabei dominieren bis heute Mais, Reis und Weizen die Felder landwirtschaftlicher Regionen.
  • Zum anderen die Einführung des Saatgutverkehrsgesetzes 1986: Die Einführung dieses Gesetzes sollte eine gute Qualität des Saatguts für den Verbraucher sicherstellen. Von dort an wurden nur Sorten für den gewerblichen Handel zugelassen, die zuvor durch das Bundessortenamt geprüft und klassifiziert wurden. Um eine Zulassung zu erhalten, müssen neu angemeldete Sorten landwirtschaftlich genutzter Pflanzen einen landeskulturellen Wert besitzen. Das bedeutet, dass sie im Vergleich zu bereits zugelassenen Sorten eine Verbesserung für den Pflanzenbau oder für die Verwertung mit sich bringen müssen. Dafür findet eine Wertprüfung statt, bei der alle möglichen Eigenschaften zum Anbau, Resistenzen, Ertrag und Qualität geprüft werden. Hier bestimmen die Ansprüche der industriellen Landwirtschaft seither maßgeblich, welche Pflanzen zugelassen und somit gehandelt und angebaut werden. Nur knapp 20 % der jährlich angemeldeten Sorten bekommen so eine Zulassung. So trägt diese gesetzliche Maßnahme leider stark zu einer fortschreitenden genetischen Erosion bei: Alte Sorten verschwinden.

Wieso bekommen alte Sorten nur selten eine Sortenzulassung?

Das liegt darin begründet, dass sich alte Sorten meist nur schwer klassifizieren lassen. Ein großes Problem dabei ist, dass die gewünschte Einheitlichkeit der einzelnen Pflanzen einer Sorte nicht immer gegeben ist (zum Beispiel einheitliche Reifedauer). Bei der Selektion von traditionellen Hof- und Landsorten wurde auf andere Faktoren Wert gelegt. So vermehrte man Pflanzen, die einen besonders guten Geschmack aufwiesen oder in der Praxis gut an den jeweiligen Standort mit all seinen Umweltfaktoren angepasst waren. Dabei entstanden Sorten, die qualitativ eine gute Ernte lieferten. Im Gegensatz zu industriell gezüchteten Sorten, war der Ertrag nicht optimiert und der Bestand entwickelte sich meist nicht regelmäßig. Es war möglich, dass sich einzelne Pflanzen der gleichen Sorte in der Wuchsgeschwindigkeit unterscheiden. Das war früher ohne maschinelle Ernte durchaus vorteilhaft, denn mit der unterschiedlichen Abreife einzelner Individuen einer Sorte ergibt sich ein breiteres Erntefenster. Für die industrielle Landwirtschaft mit maschineller Ernte sind solche Sorten unbrauchbar. Zudem kann es bei alten Sorten Unterschiede beim Erntegut geben. So können sich die Früchte in ihrer Größe und Farbe leicht unterscheiden. Das ist besonders bei der Klassifizierung durch das Bundessortenamt ein Problem. Das Erntegut muss klar kategorisierbar sein, damit eine Sortenbeschreibung verfasst werden kann. Aus diesen Gründen fallen alte Sorten meist durch das Zulassungsverfahren für gewerbliche Sorten. So wird aus der Idee der Qualitätssicherung von Saatgut mit dem Saatgutverkehrsgesetz eine Hürde in der Aufrechterhaltung der Agrobiodiversität. Die Biodiversität und Vielfalt an Nutzpflanzen auf den Feldern schwindet seitdem immer mehr. Nur 150 Arten von etwa 30.000 essbaren Pflanzenarten werden momentan angebaut, um die Welternährung zu sichern!

Mit dem Saatgutverkehrsgesetz verkleinert sich das Spektrum der angebauten Nutzpflanzen stark. Vor allem Monokulturen aus Mais, Weizen und Reis dominieren die Felder. Bild: WhiskerFlowers auf Pixabay.

Alte Obst- und Gemüsesorten sind stark gefährdet

Um Aufmerksamkeit auf Pflanzen zu lenken, die bereits gefährdet sind, wurde 2009 die Rote Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen in Deutschland“ eingeführt. Hier bekommt man einen Überblick über die gesamte bekannte Kulturpflanzenvielfalt und den bereits bedrohten Arten. Bei einem Projekt zur Weiterentwicklung der Roten Liste wurde die Vielfalt der historisch genutzten Gemüsesorten erfasst und dokumentiert. 75 % der im Projekt untersuchten Sorten zählen zu den sogenannten ,,verschollenen Sorten“ (Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, 2022). Diese Sorten sind in historischen Quellen erwähnt worden, jedoch gibt es leider weder Sortenzulassung noch ein Saatgutmuster dieser Pflanzen. Das genetische Material ist damit unwiderruflich verloren gegangen.

Um diesem Verlust entgegenzuwirken, reagierte die Politik mit Anpassungen der Bestimmungen auf EU- und nationaler Ebene (Saatgutverkehrsgesetz). Daraus entstand die ,,Erhaltungssorten-“ und ,,Amateursortenverordnung“. Mit diesen Verordnungen soll die Zulassung und der Vertrieb für alte Sorten erleichtert werden, damit deren Anbau gefördert wird. Erhaltungssorten sollen dem Verlust genetischer Vielfalt entgegenwirken. Dabei ist deren Anbau und Nutzung besonders wichtig zur Erhaltung der Sortenmerkmale. Viele alte Sorten sind außerdem als sogenannte Amateursorten zugelassen, da sie nicht für einen großflächigen Anbau geeignet sind. Dagegen haben sie einen hohen regionalen Wert und werden gerne von Hobbygärtner:innen angebaut.

Mit diesen Verordnungen wird zwar der Zugang zu Saatgut einiger alter Sorten erleichtert, deren Anbau liegt aber mehr oder minder in den Händen von privaten Gärtner:innen und Erhaltungsinitiativen. Für den kommerziellen Anbau sind sie aus wirtschaftlichen Aspekten meist nicht geeignet. Das liegt am deutlich geringeren Ertrag und den Anforderungen des Lebensmitteleinzelhandels. Im Supermarkt wird nur eine begrenzte Anzahl an bestimmten Sorten angeboten, sodass Landwirt:innen oft wenig Spielraum bei der Wahl der Sorten haben, wenn sie ihr Produkt verkaufen möchten. Leider entsprechen viele Eigenschaften damaliger Sorten nicht den Verbraucherwünschen. Eine alte Landgurkensorte mit bitterer, etwas dickerer Schale und kleinen Stacheln ist weniger beliebt, als die leicht-schalige, milde Salatgurke. Hier haben die Supermarktnormen Verbraucherwünsche und -erwartungen an Geschmack, Form und Aussehen von Gemüse und Obst stark geprägt. Um die alte Vielfalt wieder lebendig werden zu lassen, braucht es Neugier und Offenheit für das Unbekannte. Um deine Neugier für alte Obst- und Gemüsesorten zu wecken, geht es im nächsten Punkt um deren Besonderheiten.

Das Besondere an alten Sorten

Definition einer ,,alten Sorte“

Ab wann eine Sorten als ,,alt“ gilt, ist unscharf definiert. Jedoch entstammt die Bezeichnung ,,Sorte“ einer Zeit, bei der die professionalisierte Pflanzenzüchtung Saatgutproduktion und -vertrieb übernahm. Zwischen 1850 und 1950 entstand ein Spektrum an Nutzpflanzen, die in Sorten kategorisiert wurden. Die Sortenbezeichnung kommt also aus der Pflanzenzüchtung, um unterschiedliche Varianten der gleichen Art zu unterscheiden. Hierbei ging ein Großteil der vorherigen Kulturpflanzenvielfalt an Land- und Hofsorten verloren und die Sorten spiegelten nur einen Ausschnitt der ursprünglichen genetischen Vielfalt wider. Bevor es klar abgegrenzte Sorten gab, war die Vielfalt so groß, wie die Zahl der Landwirt:innen, die ihre eigenen Pflanzen selektierten und vermehrten. Somit könnte man eine ,,alte Sorte“ als eine Nutzpflanze definieren, die zu Beginn der Industrialisierung von etwa 1800 bis 1950 vermehrt und verwendet wurde. Diese Defintion umfasst auch die ersten Zuchtsorten. Ältere Nutzpflanzensorten/-ausprägungen sind als historische Sorten definiert. Meistens werden alte Sorten aber sowieso nicht aufgrund ihres Alters definiert, sondern aufgrund diverser Merkmale. Diese Merkmale beziehen sich auf Qualitäten der Ernteprodukte, wie ein intensiverer Geschmack und ein größerer Anteil an gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen. Die Pflanzen zeichnen sich außerdem oft durch eine größere Anpassungsfähigkeit gegenüber wechselnden biotischen und abiotischen Umweltfaktoren und Samenfestigkeit aus. Alte Sorten werden also eher durch ihre Eigenschaften, als durch das Alter charakterisiert.

Alte Sorten zeigen eine große Vielfalt an verschiedenen Farben und Formen. Diese Vielfalt ist schön und zudem gesund!
Alte Sorten zeigen eine große Vielfalt an verschiedenen Farben und Formen. Diese Vielfalt ist schön und zudem gesund! Bild: Couleur auf Pixabay.

Merkmale alter Sorten

1. Samenfestigkeit

Alte Sorten sind Nutzpflanzen, die aus einer langen Nutzung heraus auf kleinräumiger, regionaler Ebene entstanden sind. Diese Pflanzen waren Teil des alltäglichen Lebens der Menschen und in deren Kreisläufe eingebunden. Um die Ernährung Jahr um Jahr zu sichern, mussten diese Kulturpflanzen samenfestes Saatgut produzieren. Jede:r Landwirt:in kann und konnte so eigenes Saatgut der besten Pflanzen entnehmen und im nächsten Jahr wieder aussäen. Diese Eigenschaft ist wohl eine der wichtigsten, um sich selbst zu versorgen. Samenfeste Pflanzen ermöglichen eine richtige Kreislaufwirtschaft und das bewahrt eine gewisse Unabhängigkeit der Landwirt:innen und Gärtner:innen.

2. Außergewöhnliches Gemüse: Vielfalt in Farben und Formen

Das Obst und Gemüse alter Sorten weist eine riesige Diversität an vielen bunten Farben und diversen Formen auf. Es gibt viele außergewöhnliche Gemüse- und Obstsorten zu entdecken. Beispielsweise das lila Radieschen (Raphanus sativus) Purple Plum oder die Rote Bete (Beta vulgaris) Carotine, die eine schöne rot-weiß geringelte Knolle ausbildet. Die Variationen sind endlos. Möhren können nicht nur orange, sondern auch rot, gelb oder weiß sein. Statt der altbekannten gold-gelben Knolle, kann eine Kartoffel auch lila oder rot sein. Zu der großen Farbenvielfalt nehmen die Früchte die unterschiedlichsten Formen an, die außerhalb der Supermarktnorm liegen. Ausgefallenes Gemüse und Obst wie krumme Gurken und mehrbeinige oder runde Karotten sind bei alten Sorten keine Seltenheit und bringen Abwechslung in die Küche und auf den Teller. Zudem macht das aus jedem einzelnen Gemüse ein Charaktergemüse.

3. Große Geschmacksvielfalt: mehr sekundäre Pflanzenstoffe

Bei moderner Züchtungsarbeit spielen Qualitäten wie der Geschmack und Inhaltsstoffe eine untergeordnete Rolle. Durch den Verlust der Vielfalt an Farben schwindet auch die Geschmacksvielfalt. Denn verschiedene Farben realisiert die Pflanze durch unterschiedliche Pflanzenfarbstoffe, welche als sekundäre Pflanzenstoffe meist positiv auf unsere Gesundheit wirken. Beispielsweise der wohl bekannteste Farbstoff: das grüne Chlorophyll. Es wirkt antioxidativ, schützt unsere Zellmembranen und stärkt den Zellaufbau. Oder die gelb-orangenen Farbstoffe: die Carotinoide. Sie wirken ebenfalls antioxidativ und haben eine entzündungshemmende Wirkung. Zudem stärken sie das Immunsystem und unterstützen das Sehvermögen. Es gibt noch viele weitere sekundäre Pflanzenstoffe, die alle eine individuelle gesundheitsfördernde Wirkung mit sich bringen. Alte Sorten enthalten einen höheren Anteil dieser Stoffe, als neue Züchtungen. Das liegt daran, dass alte Sorten langsamer wachsen und so mehr sekundäre Pflanzenstoffe produzieren und einbauen können. Die Pflanze nutzt sie als Schutz vor Fressfeinden oder anderen Umweltfaktoren wie Sonneneinstahlung. Sie werden als Aromen oder Farbstoffe in die Pflanze eingebaut, um andere Lebewesen anzulocken oder fernzuhalten. Um Fressfeinde abzuwehren sind vor allem Bitterstoffe für die Pflanze wichtig, denn viele Tiere und auch Menschen meiden diesen Geschmack. Aus diesem Grund wurde der bittere Geschmack zunehmend aus bitterstoffhaltigem Gemüse wie Chicoree, Endiviensalat, Rosen- oder Grünkohl und Mangold herausgezüchtet. Bitterstoffe sind aber enorm gesund für Magen und Darm.

Möhren können nicht nur orange, sondern auch rot, gelb oder weiß sein. Bild: Zichrini auf Pixabay.

Warum ist der Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt wichtig?

  • Kulturpflanzenvielfalt als Kulturerbe unserer Vorfahren erhalten: Dieses wertvolle Kulturgut beinhaltet Wissen, welches über Generationen hinweg gesammelt wurde. Wissen über Anbau, Vermehrung, Saatgutgewinnung, Ernte und regional typischer Verarbeitung und Zubereitung. Wissen, welches ohne Nutzung und Verbreitung in Vergessenheit geraten und verloren gehen könnte. Mit der Zentralisierung der Landwirtschaft und der Reduzierung der Nutzpflanzensorten sinkt die Verwendung regional angepasster Sorten stark. Damit geht uns nicht nur genetisches Material verloren, sondern auch ein Stück Identität und Vegetationsgeschichte einer Region. In Zukunft könnten aber genau solche Nischenpflanzen, die an besondere Umweltbedingungen angepasst sind, an Bedeutung in der Züchtung gewinnen.
  • Kulturpflanzenvielfalt zur Aufrechterhaltung der genetischen Vielfalt: Das Genmaterial alter Sorten bietet eine wertvolle genetische Ressource mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Merkmalen. Neben dem genetischen Material für Qualitätsmerkmale wie Geschmack und Aussehen (Farbe und Form) haben sie eine breite genetische Konstitution, die Erbmaterial für verschiedenste Eigenschaften liefern kann. Dazu zählen Anpassungen an besondere regionale Gegebenheiten wie Trockenheit, Salzstress oder Kälte. Oder eine große Anpassungsfähigkeit an wechselnde, nicht optimale Umweltbedingungen. Um neue Nutzpflanzen züchten zu können, sind wir auf einen möglichst diversen Genpool angewiesen. Alte Sorten liefern diesen Genpool mit einer großen genetischen Variabilität. Das ist besonders vor dem Hintergrund wichtig, dass durch moderne Züchtungen meist genetisches Potential verloren geht. Durch die Konzentration auf einige wenige Merkmale, gehen so andere Merkmale unwiderruflich verloren, die später von Bedeutung sein könnten.
  • Ernährungssicherung durch Kulturpflanzenvielfalt: Besonders vor dem Hintergrund der Klimakrise stehen wir in Zukunft vor Herausforderungen in der Züchtung. Wir brauchen resiliente Sorten, die an veränderte, extremere Umweltbedingungen angepasst sind. Je größer unsere genetischen Ressourcen, desto eher wird es uns gelingen, solche Pflanzen zu züchten. Denn die derzeit dominierenden Hochleistungssorten sind meist krankheitsanfällig und wenig angepasst an Extreme wie Trockenheit und Hitze. Um in Zukunft die Welternährung zu sichern, müssen neue Sorten her! Dafür braucht es die Kombination alter Sorten mit Hochleistungssorten. Wir benötigen Widerstandsfähigkeit und hohe Erträge. Nur so können wir produktiv und vor allem umweltfreundlich wirtschaften und die Welternährung sichern.
Die Kulturpflanzenvielfalt zu erhalten ist für unsere und zukünftige Generationen von großer Bedeutung. Bild: congerdesign auf Pixabay.
  • Kulturpflanzenvielfalt für eine geschmackvolle, ausgewogene Ernährung: Neben der reinen Sicherung unserer Ernährung spielen auch die inneren Werte von alten Sorten eine große Rolle. Durch einen gesteigerten Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen haben alte Sorten einen ernährungsphysiologischen Wert für uns. Um eine vollwertige Ernährung zu haben, brauchen wir gesundes und inhaltstoffreiches Gemüse. Momentan spielen diese qualitativen Eigenschaften zwar noch eine unbedeutende Rolle in der Züchtungen, dennoch ist es wichtig, diese Eigenschaften zu bewahren. Mit dem Gehalt an unterschiedlichen sekundären Pflanzenstoffen variiert auch der Geschmack einer Sorte. Sekundäre Pflanzenstoffe sind also nicht nur gesund, sondern bringen auch Geschmacksvielfalt in deine Küche.
  • Mit Kulturpflanzenvielfalt die Unabhängigkeit bewahren – Saatgut als Gemeingut: Wie bereits erwähnt ging mit der Industrialisierung eine zunehmende Spezialisierung einzelner landwirtschaftlicher Zweige einher. Saatgutproduktion wurde zu einem spezialisierten Bereich, der in den Händen einiger weniger Unternehmen liegt. Mit den neuen Züchtungen entstehen Pflanzen, die kein nachbaufähiges Saatgut produzieren (F1-Hybride). Somit werden Landwirt:innen gezwungen, jedes Jahr neues Saatgut zu beziehen. Mit dem Anbau samenfester Sorten, wie es bei alten Sorten der Fall ist, wird das Saatgut wieder zum Gemeingut. Bei samenfesten Pflanzen kannst du dein eigenes Saatgut entnehmen und im nächsten Jahr wieder aussäen.
  • Biologische Vielfalt mit Kulturpflanzenvielfalt fördern: Eine große Diversität an unterschiedlichen Gemüse- und Obstarten erhöhen das Artenspektrum in einem Biotop. Je diverser, desto besser. So werden zahlreiche Insekten und Kleintiere angelockt, die Lebensraum und Nahrung finden. Durch riesige Monokulturen der modernen Landwirtschaft werden meist nur kulturspezifische Schaderreger angelockt, die sich munter vermehren können. Es fehlen natürliche Antagonisten, die regulierend wirken. Je mehr unterschiedliche Pflanzen, desto größer das Artenspektrum. Erst dann können natürlichen Antagonismen und Symbiosen wirken und sich positiv auf das Ökosystem auswirken. Zum Beispiel können Nützlinge angelockt werden.

Mit alten Sorten zu einer neuen Vielfalt

Alte Sorten bewahren durch Nutzung

Momentan werden alte Sorten auf zwei Wegen erhalten: Ein Weg ist die Konservierung von Samenmustern in Genbanken (ex-situ-Erhaltung). Das Problem dabei ist, dass das Saatgut „statisch erhalten“ wird. Eine Erhaltungszüchtung zur Erhaltung des Sortenbildes findet nicht statt. Das bedeutet, dass sich die Pflanzen ohne den Anbau nicht an sich ändernde Umweltbedingungen anpassen können! Das birgt die Gefahr, dass sich das genetische Potential einer Sorte verringert oder sogar verloren geht. Um die Entwicklung einer Sorte im Zusammenwirken mit ihrer Umwelt zu fördern, ist ein kontinuierlicher Anbau (on-farm-Erhaltung) daher sehr wichtig. Dadurch können sich die Sorten wieder gezielt an bestimmt Bedingungen anpassen. So wird nicht nur das kulturelle Erbe mit all dem Wissen über Anbau und Vermehrung lebendig erhalten, sondern auch ein Zugang zu Saatgut alter Sorten geschaffen. Es gibt bereits einige Projekte, die sich für die on-farm-Erhaltung alter Sorten einsetzen. Momentan sind das hauptsächlich Erhaltungsinitiativen von Privatpersonen oder NGOs, die versuchen, eine möglichst große Sortenvielfalt zu erhalten. Das sind auch meistens Stellen, an denen du qualitativ hochwertiges Saatgut alter Sorten beziehen kannst.

Das ist der weltweit größte Saatgut-Tresor auf Svalbar, in dem Saatgutmuster eingefroren und damit konserviert werden. Es gibt weltweit 1400 Saatgutspeicher dieser Art. Bild: MiksuCC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Hier sind mal ein paar Erhaltungsinitiativen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgelistet:

Alte Sorten für mehr Vielfalt in deinem Garten

Jede:r Hobbygärtner:in kann dazu beitragen, diese Vielfalt zu erhalten und von ihr im Garten zu profitieren. Ein Garten mit großer Biodiversität bedeutet auch Lebensraum für diverse Gartentiere und Insekten. Das fördert nicht nur die Ansiedlung von Schädlingen, sondern auch von Nützlingen. Es siedeln sich biologische Antagonisten an, die selbstregulierend wirken. Das hat eine Reduzierung der Pflanzenschutzmaßnahmen zur Folge, denn spezifische Schaderreger können sich nicht so schnell ausbreiten. Neben der Vielfalt im Garten an vielen schönen Farben und Formen wird auch deine Ernährung bunter und vielfältiger. Was schon seit langem aus dem Supermarkt verschwunden ist, kannst du so wieder anbauen und genießen. Vor allem geschmacklich gibt es bei alten Sorten viel zu entdecken. Du kannst dich durchprobieren und aus der großen Diversität deine Lieblinge raussuchen. Besonders bei Gärten ohne optimale Anbaubedingungen eignen sich alte, regional angepasste Sorten.

Eigenschaften alter Sorten, die in der industriellen Landwirtschaft eher von Nachteil sind, können in einem Hobbygarten praktische Vorteile bringen. Durch den unregelmäßigen Wuchs ergibt sich ein breiteres Erntefenster. Du kannst nach Bedarf reife Früchte oder Gemüse ernten. Besonders, wenn du dich selbst versorgen willst, ist das sehr praktisch. Es kommt zu keinen Arbeitsspitzen, an denen du schnell das Erntegut verarbeiten und konservieren musst. Außerdem kannst du bei samenfesten Sorten eigenes Saatgut entnehmen, welches du im nächsten Jahr wieder aussäen kannst. So musst du nicht jedes Jahr neues Saatgut kaufen. Allerdings solltest du nach ein paar Jahren wieder Saatgut von Erhaltungsinitiativen oder Kleingärtnern beziehen. Denn um sortentypische Eigenschaften und somit die Sortenechtheit zu erhalten, braucht es neben viel Fachwissen auch eine größere Anzahl an Individuen einer Sorten. Das lässt sich in einem Kleingarten oft nicht umsetzen.

Mit alten Sorten kannst du eine neue Vielfalt in deinen Garten und in deine Küche bringen. Es gibt viel zu entdecken! Bild: Ulleo auf Pixabay

Das kannst du tun, um alte Obst- und Gemüsesorten zu bewahren

  • Alte Sorten im eigenen Garten anbauen: Besorge dir Saatgut alter Sorten, die dich neugierig machen und probiere einfach mal aus, sie anzupflanzen! Ob auf dem Balkon oder im Garten, es lohnt sich überall. Durch ihren Anbau und ihre Nutzung werden alte Sorten wieder lebendig. Zudem unterstützt du mit deinem Kauf Erhaltungsinitiativen, die Erhaltungszüchtung betreiben, um sortenspezifische Eigenschaften zu bewahren.
  • Alte Sorten selbst vermehren: Wenn du Sorten gefunden hast, die du magst und unter die Menschen bringen möchtest, kannst du sie selbst vermehren und Saatgut entnehmen. Das ist allerdings gar nicht so einfach und braucht Fachwissen. Zu diesem Thema kannst du dich privat weiterbilden. Es gibt beispielsweise Vorträge oder Workshops von anderen begeisterten Sortenerhaltern.
  • Auf alte Sorten aufmerksam machen: Um die Aufmerksamkeit möglichst vieler Menschen wieder auf alte Sorten zu lenken, muss es Aufklärung geben. Dazu muss geteilt werden, welche Bedeutung diese Sorten für uns haben und was an ihnen so besonders ist. Erzähle deinen Freunden und Bekannten davon. Je mehr Menschen für alte Sorten begeistert werden, desto besser!
  • Saatgut-Tauschbörsen organisieren: Um das Saatgut für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen, kannst du Saatgut-Tauschbörsen organisieren. Hierbei kommt man in den Austausch und kann auch auf alte Sorten aufmerksam machen. So kann eine Community entstehen, in der ihr gemeinsam für die Erhaltung alter, traditioneller Sorten kämpft. Um zu erfahren, ob es vielleicht schon eine Tauschbörse in deiner Nähe gibt, findest du bei VEN einen Terminkalender für Saatgut-Tauschbörsen.
  • Patenschaft für eine alte Sorte übernemen: Es gibt Vereine, bei denen du eine Patenschaft für eine bestimmte alte Sorte übernehmen kannst. Besonders als Anfänger in der Gartenwelt kannst du so viel Neues dazulernen, z.B. wie du eine bestimmte Sorte beschreibst und beobachtest.
  • Vielfalt genießen, erleben und feiern: Wer einmal in den Genuss der Geschmacksvielfalt kommt, möchte sich nicht mehr mit oft wässrigem Supermarktgemüse abspeisen lassen. Diese wiederentdeckte Vielfalt kannst du mit anderen Gärtner:innen feiern und genießen. Komme mit anderen zusammen, koche leckere Gerichte und tauscht euch aus!
  • Übrigens findest du in unserer Pflanzbibliothek von Fryd zahlreiche Informationen über verschiedenste Sorten, worunter auch bereits viele alte Sorten dokumentiert wurden. Dank unserer Community wächst diese Datenbank jeden Tag weiter. Hier bekommst du Informationen über Bedürfnisse einzelner Pflanzen und deren Anbau. Außerdem kannst du eine neue Sorte anlegen und so mit unserer Community teilen, wenn du eine Sorte gefunden hast, die noch nicht Teil der Pflanzenbibliothek ist. Außerdem laden wir dich auch gerne dazu ein, bei unserer Alphabeet Community vorbeizuschauen. Hier tauschen sich zahlreiche leidenschaftliche Gärtner:innen täglich aus. Du bist hier genau richtig, um in den Austausch über das Gärtnern zu kommen und Menschen zu finden, die gleiche Interessen haben.
Lasse alte Sorten wieder lebendig werden, indem du sie anbaust, vermehrst und das Saatgut mit anderen teilst.

 

Wir hoffen, mit diesem Artikel dein Interesse für alte Sorten geweckt zu haben. Wenn du noch mehr darüber wissen möchtest, dann hör dir doch noch unseren Podcast zum Thema ,,Alte Sorten“ an. Uns ist es bei Alphabeet ein Anliegen dieses Kulturgut zu wahren, um eine größtmögliche Biodiversität zurück in die Gärten zu bringen. Teile uns gerne deine Erfahrungen mit alten Sorten in unserer Alphabeet-Community mit! Bei Fragen und Anmerkungen zu diesem Thema schreibe uns gerne an magazin@fryd.app.

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Quelle: Mit alten Sorten zu einer neuen Vielfalt