Laufen wirkt Wunder

Unser Lieblingssport Laufen macht fit, beugt Krankheiten vor und kann noch mehr: Er hält jung – geistig wie körperlich.

Unsere Gesellschaft scheint wie besessen von der Furcht vorm Altwerden. Nach der Anti-Aging-Welle der 90er-Jahre mit ihren Anti-Falten-Cremes und Schönheits-OPs hofft man in den Zukunftslabors des kalifornischen Silicon Valley derzeit sogar „das Altern heilen“ zu können – und investiert Hunderte Millionen Dollar in die Entwicklung von Therapien und Arzneien zur Linderung oder gar Umkehr der zugrunde liegenden biologischen Prozesse.

Als Läufer können Sie sich über einen solchen Aktionismus eigentlich nur wundern, denn bekanntermaßen existiert längst ein Mittel, das genau das leistet, wonach sich die Menschen sehnen: Laufen schützt vor Krankheiten aller Art, mildert die Folgen und reduziert sogar die verräterischen äußeren Kennzeichen des Alterns. Sie brauchen weder neumodische Fantastereien wie Biohacking noch milliardenschwere Investitionen, um diesen Quell der Jugend für sich nutzbar zu machen. Sie müssen nur die Laufschuhe schnüren und loslaufen.

Wie führende Altersforscher und Dutzende von Studien immer wieder bestätigen, ist Laufen eins der wirksamsten Verjüngungsmittel, die es gibt. Es stärkt Herz und Lunge, hilft beim Abnehmen und Figurhalten und verschafft uns sogar legale Rauschzustände. Wenn man bedenkt, dass es zudem dabei hilft, geistig und körperlich fit zu bleiben und vielen der gängigsten altersbedingten Krankheiten und Gebrechen vorzubeugen, wird klar, dass das Laufen ziemlich nah an unsere Traumvorstellung eines Wundermittels gegen das Altern herankommt. Unser aller Lieblingssport erhöht nicht nur unsere Lebenserwartung um stolze drei Jahre, wie eine 2017 im Fachblatt „Progress in Cardiovascular Diseases“ veröffentlichte Studie zeigt, er macht das Leben im Alter auch lebenswerter: Läufer sind vitaler, glücklicher und zufriedener als Nichtläufer und das zeigt sich sowohl in kleinen alltäglichen als auch in ganz elementaren Dingen, ohne die es gänzlich witzlos wäre, hundert Jahre alt zu werden.

Wir sind zum Laufen geboren

Stellen Sie sich den Planeten Erde in grauer Vorzeit vor, verwundert es kaum, dass Laufen jung und fit hält. Rund zwei Millionen Jahre hing das Leben unserer Urahnen von ihren läuferischen Fähigkeiten ab. „Die Evolution hat uns zu Läufern gemacht, da wir sonst verhungert wären“, so der Anthropologe David Raich­len, der an der University of Arizona (USA) die evolutionäre Entwicklung körperlicher Betätigung erforscht. „Dass wir stets in Bewegung bleiben mussten, bescherte uns größere Herzen und breitere Kapillaren“, sagt er. In einer Fachzeitschrift erläuterte Raich­len 2014, wie das Laufen bewirkte, dass der Homo sapiens ein so hohes Alter erreichen konnte. Vor Tausenden von Jahren, so der Experte, hatte der Mensch zwei Varianten eines Gens im Erbgut, die zu einem stark erhöhten Risiko für Alzheimer und Herz-Kreislauf­-Erkrankungen führen. Dennoch begannen die Menschen schon zu dieser Zeit, weit älter zu werden als andere Säugetiere.

Die Hauptursache dafür sieht er darin, dass der Mensch so viel laufen musste – um zu fressen und nicht gefressen zu werden. Das viele Laufen, glaubt er, reduzierte das Risiko für diese Krankheiten, trotz der genetischen Vorbelastung. Für Raichlen ist es auch kein Zufall, dass heutzutage, da wir nur noch wenig laufen (wenn wir uns überhaupt bewegen), unser Risiko für chronische Krankheiten extrem gestiegen ist. „Körperliche Aktivität hat einen großen Anteil daran, dass der Mensch zu dem geworden ist, der er ist“, sagt er. „Nicht zu laufen widerspricht unserer evolutionären Bestimmung.“

Laufen stärkt das Herz

Legen Sie doch mal Ihre rechte Handfläche auf die linke Seite Ihrer Brust. Spüren Sie den starken Herzschlag? Genau darin liegt der größte Nutzen des Laufens im Kampf gegen das Alter, denn Herzerkrankungen sind weltweit die Todesursache Nummer eins. Je älter wir werden, desto steifer und starrer werden unsere Arterien. Die Folge: Sie können sich nicht mehr so gut weiten, um einen erhöhten Blutstrom zu bewältigen. Das gilt insbesondere für die Aorta, die Hauptschlagader, die das Blut vom Herzen in den Blutkreislauf leitet, und für die Halsschlagadern, die von der Brust zum Kopf verlaufen. Treten diese schleichenden Veränderungen auf, ist eine kardiale Komplikation nicht mehr weit.

Hinzu kommt: „Heute wissen wir, dass auch das Nachlassen geistiger Fähigkeiten mit steigendem Alter überwiegend auf eine zunehmende Beeinträchtigung der Gefäßfunktion zurückzuführen ist“, so Douglas Seals, Professor für Integrative Physiologie und Experte für Gefäßalterung an der University of Colorado Boulder (USA). „Auch die mit dem Alter statistisch ansteigende Disposition für Diabetes wird maßgeblich durch den Zustand und die Funktionsfähigkeit der Gefäße beeinflusst. Es gibt sogar eine starke Korrelation zwischen Arteriengesundheit und Nierenleiden.“

 

Durch regelmäßiges Laufen kann man sich laut Seals vor all dem schützen, da Laufen nicht nur die Elastizität der ­Arterien erhält, sondern auch die Gefäße verjüngt und kräftigt. Vom ersten Laufschritt an brauchen alle Muskeln – nicht nur im Oberschenkel, den Waden und dem Gesäß, sondern auch im Rücken, den Schultern und Oberarmen – mehr Sauerstoff. Um sie damit zu versorgen, steigt die Atemfrequenz, das Herz schlägt schneller und pumpt sauerstoffreiches Blut zu jeder Faser unserer Muskeln.

Dieser Prozess ist mehr als nur ein Transportvorgang: Er hält unsere Arterien stark und gesund. Das bedeutet, dass Sie – egal, ob Sie sich mit 40 Jahren einer Laufcrew anschließen oder als Rentner Ihren Enkeln hinterherlaufen – damit Ihr Herz um Jahre verjüngen. Und zu guter Letzt zeigen wissenschaftliche Studien, dass gesunde Arterien meist mit einem guten körperlichen Allgemeinzustand auch jenseits des Herz-Kreislauf-Systems einhergehen. Für Seals, der in Boulder ein kommunales Projekt für gesundes Altern mitbegründet hat, sind Ausdauersportarten wie Laufen daher der entscheidende Faktor im Kampf gegen das Alter. „Es ist wichtiger als alles andere, sogar wichtiger als eine gesunde Ernährung oder Stressabbau.“

Laufen stärkt die Lunge

Es gibt noch einen weiteren Messwert zur Bestimmung unseres biologischen Alters, der uns verrät, wie fit und gesund wir sind: die VO2max, die maximale Sauerstoffmenge, welche der Körper im Zustand der Belastung pro Minute verwerten kann. Zwar spielt dieser Wert für das alltägliche Laufen kaum eine Rolle und es genügt auch zu wissen, dass er sich erhöht, je öfter man im Training an seine Grenzen geht, vor allem beim Intervalltraining. Doch ein höherer Wert ist nicht nur hilfreich für eine neue Marathon-Bestzeit, sondern kommt auch der Gesundheit zugute. „Aus noch unbekannten Gründen gehen niedrige VO2max-Werte mit einem erhöhten Risiko für chronische Erkrankungen einher“, sagt Frank W. Booth, Physiologie-Professor an der University of Missouri und Spezialist für den Zusammenhang zwischen körperlicher Fitness und der Anfälligkeit für Krankheiten. „Fällt die VO2max unter einen bestimmten Wert, nehmen chronische Erkrankungen dramatisch zu.“

Aber keine Sorge: Sie brauchen nicht viel zu tun, um Ihre VO2max auf ein gutes Niveau zu bringen. Es reicht, ein- oder zweimal pro Woche kurze Intervalle mit einer Belastung von 85 bis 90 Prozent der maximalen Herzfrequenz zu laufen. „Das ist ein Faktor des Älterwerdens, auf den man einen recht großen persönlichen Einfluss hat“, so Booth. „Wer möglichst lange fit und gesund bleiben will, sollte alles tun, um seine VO2max möglichst hoch zu halten.“

Laufen macht klug

Klar, man kann sein Herz auch stärken und seine VO2max erhöhen, indem man sich aufs Rad setzt, schwimmen geht oder seinen Hund ausführt. Das Besondere am Laufen ist jedoch seine Wirkung auf die geistige Leistungsfähigkeit. Forscher der University of North Carolina etwa bescheinigen Läufern ein buchstäblich „jugendlicheres Gehirn“. Und an der University of Arizona stellte man fest, dass Laufen sich ähnlich positiv auf das Gehirn auswirkt wie Aktivitäten, die eine gute Feinmotorik erfordern, also etwa Schlagballsportarten oder Musizieren. Eigentlich überraschend, da Laufen eher nicht zu den geistig anspruchsvollen Tätigkeiten gezählt wird, schließlich muss man im Grunde nur einen Fuß vor den anderen setzen und aufpassen, dass man nicht stolpert. „Tatsächlich ist Laufen kognitiv aber durchaus fordernd“, erklärt Raichlen, „man bemerkt es nur nicht.“ Die Baumwurzel am Boden, die Ampel, die gerade gelb wird, der eigene Hund, der im Zickzack an der Leine vor einem he­r­läuft – all das sind Herausforderungen, die man in Sekundenschnelle meistern muss.“

Wenn wir noch einmal auf unsere Urahnen zurückblicken, finden wir die Erklärung dafür in der Evolution. „Als Jäger und Sammler haben wir uns zügig hin und her bewegt und mussten dabei immer wissen, wo wir waren und wie wir wieder an den Ausgangspunkt zurückgelangten. Dazu brauchten wir räumliches Vorstellungsvermögen sowie die ­Fähigkeit, Entscheidungen im Voraus zu planen“, erklärt Raichlen. „Wir glauben, dass solche kognitiven Fähigkeiten im Zuge der Evolution an körperliche Betätigung gekoppelt wurden.“

Laufen hält jung

Ein Blick auf die Beine der Topläufer am Start eines Marathons reicht als Beweis, dass Laufen für schlanke, muskulöse Beine sorgt. Der größte Vorteil des Laufens liegt aber nicht darin, sondern in seinen unsichtbaren Auswirkungen auf zellulärer Ebene. So wie es unsere Arterien gesund hält, regeneriert und verjüngt das Laufen nämlich auch unsere Mitochondrien, die Kraftwerke in unseren Zellen. Dadurch können die Muskelfasern Energie effizienter in Kontraktionen umsetzen. Wichtig ist das deshalb, weil die Effizienz der Mitochondrien in der Energiebereitstellung mit steigendem Alter abnimmt. „Grob gesagt, entweicht immer mehr Sauerstoff durch die Membranen der Mitochondrien, sodass die Muskeln mehr Sauerstoff verbrauchen“, erklärt Justus Ortega, Professor für Bewegungswissenschaft und Leiter des Labors für Biomechanik an der Humboldt State University in Kalifornien.

„Faszinierenderweise scheint die dynamische Bewegung des Laufens die Reparatur der Mitochondrien zu stimulieren, sodass die Energiebereitstellung wieder so effizient ist wie bei jüngeren Erwachsenen.“ 2014 konnte Ortega dies bereits durch eine Studie belegen, die zeigte, dass ältere Läufer nicht nur gesündere, besser funktionierende Mitochondrien haben als Nichtläufer, sondern in puncto Energieeffizienz sogar mit Jüngeren mithalten können.„Laufen bewirkt, dass die Muskeln wieder so gut funktionie­ren wie bei sehr viel jüngeren Menschen“, sagt Ortega. „Das Beste daran: Gelingt es uns, durch das Laufen die Mitochondrien jung zu halten, ermöglicht uns das ein rundum aktiveres, erfüllteres ­Leben, was wiederum das Risiko für typische Alterserscheinungen wie Herzleiden, Diabetes, Knochenschwund und Fettlei­big­keit senkt.

Das Laufen bewirkt nicht nur unmittelbare und dauerhafte körperliche Veränderungen, die uns „jünger“ machen, sein größter Nutzen besteht nach Ansicht der Forscher in den positiven Auswirkungen, die sich daraus für das ganze Leben ergeben: Laufen verleiht uns Kraft, Vitalität und Energie.Während unsere Gesellschaft nach Wundermitteln sucht, die ewige Jugend versprechen, kennen wir die Formel längst: Laufen leistet genau das, was wir uns von diesen Mitteln erhoffen. „Die positiven Effekte beschränken sich ja nicht nur auf eine verbesserte Muskeleffizienz, eine Stärkung des Herzens oder der Knochen“, so Ortega, „Laufen bereichert das Leben in vielerlei Hinsicht. So viele Pillen kann man gar nicht nehmen, um all das zu bewirken.“

Quelle: Laufen wirkt Wunder